Die CAPNETZ-Studie: das Herzstück der CAPNETZ STIFTUNG

Vor 20 Jahren wurde CAPNETZ, das Kompetenznetz – ambulant erworbene Pneumonie (CAP, community-acquired pneumonia)-  gegründet mit dem Ziel, die Infektionskrankheit immer besser zu verstehen und so die Sterblichkeit von CAP-Patienten zu senken. Mit Initiierung der CAPNETZ-Studie wurde die weltweit umfangreichste Daten- und Biomaterialienbank als Grundstein für wissenschaftliche Forschung von hoher Qualität gelegt. Die CAPNETZ STIFTUNG erlaubt eine stete Förderung der Forschung – notwendig, um die hoch gesteckten Ziele für die Zukunft zu erreichen. Zum Jubiläum ein kurzer Rückblick und Ausblick rund um die CAP und die Herausforderungen, die auf der wissenschaftlichen Tagesordnung stehen.

Die medizinische und gesundheitsökonomische Bedeutung ambulant erworbener Pneumonien ist groß; auch in Deutschland. Von allen Infektionskrankheiten geht die CAP mit der höchsten Mortalität einher.¹ In Deutschland werden jährlich mehr als eine Viertelmillion Fälle von Patientinnen und Patienten mit einer ambulant erworbenen Pneumonie (Community Acquired Pneumonia, CAP) stationär behandelt. Bei knapp 13 % dieser stationären Fälle versterben die behandelten Patientinnen und Patienten während des Krankenhausaufenthalts. Im Jahr 2019 wurden 255.000 CAP-Patienten hospitalisiert, 12.89% starben. Das sind etwa 32.800. Noch vor 20 Jahren fehlten zuverlässige Daten zur CAP für Deutschland. Das sollte sich zwingend ändern.

2001: Startschuss für das Kompetenznetz CAPNETZ

Um die Kenntnisse über die CAP zu erweitern, Diagnostik und Therapie zu verbessern und damit auch die Prognose von CAP-Patienten, wurde vor 20 Jahren das Kompetenznetzwerk CAPNETZ ins Leben gerufen und hat sich seither europaweit einen Namen gemacht. Das Konzept dazu erarbeiteten die renommierten Professoren R. Marre (Universitätsklinikum Ulm), T. Welte (Medizinische Hochschule Hannover) und N. Suttorp (Charité-Universitätsmedizin Berlin), die den Antrag beim Bundesministerium für Bildung und Forschung stellten und schließlich auch die Leitung übernahmen. 2007 wurde die CAPNETZ STIFTUNG gegründet, die eine kontinuierliche Förderung der CAP-Forschung ermöglicht.

2002 Initiierung der CAPNETZ-Studie

2002 wurde die CAPNETZ-Studie initiiert, die inzwischen mehr als 14.000 Patienten mit CAP dokumentiert und ausgewertet hat. Entsprechend umfangreich ist das Daten- und Probenmaterial. Es handelt sich um die weltweit umfangreichste Datenbank zur CAP. Sie steht Wissenschaftlern und Klinikern auf Antrag für ihre wissenschaftlichen Arbeiten zur Verfügung und hat die Forschung in diesem Bereich in den letzten Jahren wesentlich vorangetrieben. CAPNETZ verbindet dabei klinische und mikrobiologische Aspekte mit Aspekten der Grundlagenforschung, um neue Erkenntnisse zur Krankheitsentstehung zu gewinnen, insbesondere zur Interaktion zwischen Erreger und Wirt. Profitiert von CAPNETZ haben Grundlagenforschung und Versorgungsebene gleichermaßen. So haben Erkenntnisse aus CAPNETZ ihren Niederschlag auch in den S3-Leitinienempfehlungen gefunden, bei denen die CAPNETZ STIFTUNG Mit-Herausgeber ist. Dem Kompetenznetz ist es in den vergangenen Jahren gelungen, einen besseren Einblick auch in die Epidemiologie und die Versorgungsrealität in Deutschland zu erhalten. Die Ergebnisse von CAPNETZ waren zudem die Basis für verschiedenste „spin-offs“, die sich der neuen Techniken bedienten.

Der CAPNETZ-Spin-off „PROGRESS“ konnte einen wesentlichen Fortschritt erzielen, nämlich im Transkriptom eine Gen-Signatur identifizieren, die zuverlässig Bedarf für Intensivmedizin und Tod bei CAP vorhersagt.

Neue Ziele von CAPNETZ

Das Kompetenznetzwerk hat sich neue Ziele gesetzt, denn in nahezu allen Bereichen ist das Wissen zur CAP lückenhaft. Dazu gehören  kurz und knapp die 

  • Entwicklung eines standardisierten und praktikablen Vorgehens zur Detektion respiratorischer Infektionserreger,
  • Untersuchung der wechselseitigen Beziehung der Pneumonie und chronischer Begleiterkrankungen,
  • Definition der Pneumonie-Patienten, die einen Notfall darstellen und
  • Entwicklung von Strategien zur Behandlung sowohl von HIV-Patienten mit einer Pneumonie als auch CAP-Patienten mit einer Immunsuppression.

Unmet Needs bei CAP: eine zukünftige Herausforderung

In einem Workshop mit renommierten Wissenschaftlern und Klinikern, eine CAPNETZ-Initiative,  wurden aktuell die Unmet needs rund um die CAP erarbeitet. Hier ein kurzer Querschnitt der Ergebnisse.
Diagnostik Der Erreger bestimmt die Therapie. Entsprechend wichtig ist die Erregerdiagnostik. Noch aber fehlt ein diagnostischer Goldstandard für die eindeutige Detektion. Diskutiert wird aktuell die Next Generation Sequencing-basierte Erregerdiagnostik, auch zur Beobachtung des Therapieverlaufs. Aber auch das Nanopore-Sequencing wird erforscht, das sehr rasch die Identifikation viraler und bakterieller Pathogene liefert. Bildgebende Verfahren, wie die Computertomographie (CT), untermauern die klinische Diagnose und erlauben eine Differenzierung zwischen infektiöser und nicht-infektiöser Pneumonie. Spezifität und Sensitivität sind allerdings gering mit einer hohen Anzahl falsch-negativer und falsch-positiver Befunde. CT als Zusatzdiagnostik gilt als sinnvoll. Es sollte aber definiert werden, welcher Patient tatsächlich ein bildgebendes Verfahren benötigt.

Mit Hilfe der jetzt verfügbaren technischen Möglichkeiten werden wir noch genauer das Zusammenspiel viraler und bakterieller Infektionserreger entschlüsseln und dadurch neue Erkenntnisse zur Diagnostik und Therapie der CAP gewinnen können.

Biomarker Für Identifizierung und Monitoring schwerer Atemwegsinfekte werden Biomarker eingesetzt, allen voran der CRP-Wert und Procalcitonin, die allerdings kaum spezifisch sind. Interessant sind vor allem Metabolomics, Genomics und Epidenomics. Die Koronarkalkmessung CAC (coronary artery calcium), bei Patienten mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko nach Pneumonie erhöht, ist ein möglicher Biomarker, zeigt aber hohe Heterogenität.       

Risikostratifizierung Low-Risk-Patienten lassen sich per CRB-65 erkennen, begleitet von der Erhebung des Sauerstoffstatus oder auch instabiler Komorbiditäten. Für Hochrisikopatienten, die früh ein intensives Therapiemanagement erfordern, werden die ATS/IDSA Minorkriterien herangezogen. Sie sind aber für eine frühe Hochrisiko-Stratifizierung nicht vollständig implementiert.

Therapie Die empirische Gabe von Antibiotika ist die erste Wahl bei Pneumonien, da nach bisherigen Daten Bakterien, auch im Rahmen viral-bakterieller Mischinfektionen, das Krankheitsbild dominieren. In der Regel werden Beta-Lactam-Antibiotika bei hospitalisierten Patienten  meist in Kombination mit Makroliden empfohlen. Makrolide erfassen atypische Erreger und dämpfen die pulmonale Inflammation.  Makrolide haben aber auch ein hohes Interaktionspotential und können zu Herzrhythmusstörungen führen – gefährlich für den meist älteren CAP-Patienten mit umfangreicher Begleitmedikation. 

Interessant ist auch eine neue Methodik zur Behandlungsentscheidung mit Makroliden gestützt auf Machine Learning, die mit Unterstützung von CAPNETZ entwickelt wurde. Allerdings werden immer häufiger Viren als Erreger einer Pneumonie identifiziert, vor allem bei immunsupprimierten Patienten. Therapieoptionen sind bei Virusinfektionen rar. Das gilt auch für Kenntnisse über Koinfektionen von Viren und Bakterien.  In der Entwicklung sind Antibiotika-Aerosole, die aber bisher noch nicht in der Breite eingesetzt werden.                          

Exzessive Entzündung kann Ursache eines Therapieversagens trotz wirksamer Antibiotikatherapie sein. Als Zusatztherapie sind deshalb Immunmodulatoren in der Diskussion, allen voran Steroide, und kontrovers betrachtet auch IL6-Inhibitoren. Gefordert wird den Stellenwert von Immunmodulatoren zu untersuchen, aber auch von small molecules und Biologika, die gezielt den Erreger angreifen. Interessant sind auch Substanzen, die die Wirtsantwort verbessern, etwa durch Stimulation des Immunsystems.

Prävention durch Impfung Gegen virale und bakterielle Erreger sind zahlreiche Impfstoffe verfügbar. Zum Schutz vor Pneumokokken stehen gleich zwei unterschiedliche Vakzinarten zur Verfügung: ein Pneumokokkkensacharidimpfstoff und ein weniger Serotypen erfassender aber besser wirksamer Pneumokokkenkonjugatimpfstoff. 

Die Krankheitslast der CAP ist sehr groß, vor allem, wenn man die kardiovaskulären Komplikationen und das über Jahre erhöhte Letalitätsrisiko nach CAP betrachtet. Impfungen können hier viel Leid verhindern. Dazu brauchen wir klare Daten zur Häufigkeit und Krankheitslast einzelner Erreger, bei Pneumokokken sogar zu einzelnen Serotypen. Nur so können wir die richtigen Impfstoffe entwickeln. Dazu hat CAPNETZ für Deutschland einen wichtigen Beitrag geleistet.

Eine starke Immunantwort auf einen Erreger kann auch die Lunge anhaltend schädigen. Es kann zu bleibenden parenchymalen Veränderungen kommen, die das Risiko für nicht infektiöse Atemwegserkrankungen wie COPD oder IPF (idiopathische pulmonale Fibrose) erhöhen. Aber nicht jede antiflammatorische Strategie verbessert das Überleben. Ziel ist deshalb ein gezieltes Vorgehen mit einem exakten Timing. Unterschiede in der Immunantwort einzelner Patienten können auch genetisch bedingt sein.

Unterschätzt: Immunsuppression Bei Patienten mit einer  Immunsuppression, sei es wegen des Alters (Immunoseneszenz), einer Begleiterkrankung oder einer immunsupprimierenden Medikation, ist das Risiko einer Pneumonie oder eines schweren Verlaufs erhöht. Notwendig wären therapeutische Leitlinien für immunsupprimierte Patienten mit CAP. Deren Prävalenz wird noch immer unterschätzt. Immerhin bis zu 29% der hospitalisierten CAP-Patienten sind immunsupprimiert.

Das Immunsystem kann bei CAP überreagieren. Noch aber können wir das für den einzelnen Patienten nicht vorhersagen. Auch darum kümmern sich CAPNETZ und die assoziierten Studienprojekte.

Im Auge behalten: kardiovaskuläre Komplikationen. Hospitalisierte CAP-Patienten haben ein erhöhtes Risiko für akute kardiovaskuläre Komplikationen, aber auch für Langzeitkomplikationen, wie Herzinsuffizienz, Herzarhythmien, Myokardinfarkt und Schlaganfall. 

„CAP geht mit langfristigen Risiken einher. So kann nach einer Pneumonie das kardiovaskuläre Risiko über bis zu zehn Jahre erhöht sein. Ob das Risiko Erreger-abhängig ist oder nicht, welche Pathophysiologie dahintersteckt und welche Konsequenzen sich daraus für das Monitoring der Patienten ergeben, ist Teil der Forschung.“

Das gilt bis zu zehn Jahre nach durchgemachter Pneumonie und ist höher als die Gefahr durch Rauchen oder Diabetes mellitus. Notwendig sind Therapiestrategien, um kardiale Komplikationen bei Pneumonie zu reduzieren. Was jetzt schon gilt: Die kardiale Funktion muss bei jedem Risikopatienten mit mittelschwerer und schwerer Pneumonie überprüft werden, ebenso wie bei kardialer Vorschädigung.

Fazit: Pneumonie als komplexes Krankheitsbild betrachten

Das Resumée führender Pneumologen und Mikrobiologen: Die CAP muss als komplexes Krankheitsbild betrachtet werden unter Berücksichtigung von Pathogen, Immunsystem und Komorbiditäten.  Dann könnte ein entscheidender Fortschritt in Diagnostik und Therapie gelingen.  Noch sind die Defizite zum Verständnis der CAP groß. Die daraus resultierende schlechte Evidenz bei vielen klinischen Entscheidungen im Rahmen akuter Atemwegsinfekte können nicht länger akzeptiert werden. Ein koordiniertes Vorgehen ist zwingend erforderlich. Das CAPNETZ stellt die dafür notwendigen Strukturen zur Verfügung und unterstützt relevante Studien. Damit hat das Kompetenznetzwerk einen wesentlichen Anteil in der Bewältigung bedrohlicher Atemwegserkrankungen.

CAPNETZ: die Studien

Trotz der medizinischen und gesundheitsökonomischen Bedeutung der ambulant erworbenen Pneumonie fehlten in Deutschland bis zum Ende des zwanzigsten Jahrhunderts zuverlässige Daten zur Epidemiologie der Infektionskrankheit, zu Risikofaktoren, Erregerspektrum, Resistenzsituation und zum Verlauf der Erkrankung. Um diese wissenschaftlichen Lücken zu schließen und damit auch die Therapie zu verbessern wurde das Kompetenznetz CAPNETZ mittels einer Förderung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung ins Leben gerufen. Im Jahr 2002 wurde mit dem Aufbau einer entsprechenden Patienten- und Biomaterialdatenbank im Rahmen der CAPNETZ-Studie begonnen. Wissenschaftler und Kliniker, die in diesem Bereich tätig sind, können einen Antrag auf Unterstützung stellen und die Daten und Biomaterialien nutzen. CAPNETZ unterstützt nicht nur Forschungsarbeiten rund um CAP. Das Kompetenznetzwerk führt auch eigene Studien durch. Hier eine Auswahl:

ABACOPD Study: randomisierte, doppelblinde und plazebokontrollierte Studie, durchgeführt in Deutschland, konnte zeigen, dass Antibiotika bei moderater akuter Exazerbation der COPD nicht notwendig sind.

PROGNOSIS-Register-Studie: Mit der PROGNOSIS-Register-Studie für Patienten mit Non-CF-Bronchiektasen wird deutschlandweit eine nationale, repräsentative, prospektive, beobachtende und longitudinale Datenbank aufgebaut. Die  Medizinische Hochschule Hannover initiierte das deutsche Bronchiektasen-Register PROGNOSIS in enger Kooperation mit der CAPNETZ STIFTUNG 

pedCAPNETZ: In die CAPNETZ-Studie werden erwachsene CAP-Patienten eingeschlossen. Doch es erkranken auch Kinder.  Mit dem pedCAPNETZ entstand eine ausführlich charakterisierte Kohorte zur CAP im Kindes- und Jugendalter mit dem Ziel, das Management der CAP bei Kindern zu verbessern.

BaViFlu
Eignet sich ein POCT (point of care testing)  zur Differenzierung bakterieller/viraler Infektionen der oberen Atemwege, um unnötige Antibiotikaverordnungen zu reduzieren? Diese Frage will die BaViFlu-Studie  beantworten, mit Unterstützung der CAPNETZ STIFTUNG.

PROGRESS führt die Aktivitäten von drei durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Netzwerken im Rahmen des Programms „Gesundheitsforschung: Forschung für den Menschen“ zusammen:

  • CAPNETZ – Kompetenznetz Ambulant Erworbene Pneumonie
  • SepNet – Kompetenznetzwerk Sepsis
  • NGFN – Nationales Genomforschungsnetz „Infektion und Entzündung“

Hauptziel von PROGRESS ist es, Transkriptom- und Proteom-basierte Signaturen sowie Biomarker und genetische Polymorphismen zu identifizieren, die mit ambulant oder im Krankenhaus erworbenen Pneumonien und ihren schweren Manifestationen assoziiert sind.

PROVID will klinische, molekulare und funktionelle Biomarker für Prognose, Pathomechanismen und Behandlungsstrategien von Covid-19 erfassen um die Patientenversorgung zu verbessern.